In Martin
Walsers multipler Romanfigur eines Kritikers sind sie, bislang
seltsam unbeachtet, friedlich vereint: Marcel Reich-Ranicki
und der im Jahr 2001 verstorbene Hans Mayer. Zerstritten haben
sich indes ihre jeweiligen Freunde und Anhänger. Denn
ausgerechnet in seinem Nachruf „Der Mann des Dialogs,
ein Einzelgänger“ (FAZ vom 21. Mai 2001) machte
MRR eine pikante Episode aus Mayers Schweizer Exil öffentlich.
In der Schweiz sei Hans Mayer in einem
Arbeitslager und „schließlich“ in einem
Zuchthaus gelandet. Den von diesem angegebenen Grund für
den Zuchthausaufenthalt, eine Schlägerei in Lausanne,
bezweifelte Reich-Ranicki. „Zeitzeugen wissen es anders:
Die Polizei habe Mayer in einem Hotel mit einem Minderjährigen
aufgespürt.“ Diese Enthüllung über einen
der großen Gelehrten des 20. Jahrhunderts mit „Weltruf“
fanden zu diesem Anlaß einige degoutant. Ihr Wahrheitsgehalt
wurde aber öffentlich bis heute nicht bestritten.
Hans Mayer selbst hatte dagegen die Affäre
im 1. Band seiner Erinnerungen Ein Deutscher auf Widerruf
(1982) recht harmlos dargestellt. Im Dezember 1941 sei er
in Lausanne in eine „Schlägerei“ verwickelt
worden. „Das war eine banale, alltägliche Angelegenheit“.
Die autobiographische Erinnerung einer körperlichen Auseinandersetzung
verlieh ihm sogar einen gewissen Heldenstatus. Über den
Gegner oder die Gegner sagte Mayer kein Wort. Die Schlägerei
habe ihn hundert Schweizer Franken gekostet, so H.M., „wenn
ich mich recht erinnere.“ Der Hinweis auf eine geringe,
offensichtlich ohne Murren gezahlte Strafe wies ihm selbst
zwar eine gewisse Schuld zu, die er aber ganz nonchalant einräumte.
Die vermeintlich ungenaue Erinnerung an den angeblich gezahlten
Betrag machte die Darstellung noch glaubwürdiger.
Zwei Dossiers des Schweizerischen Bundesarchivs erzählen
jetzt eine dritte Wahrheit. Die Geschichte des Schweizer Exils
von Hans Mayer läßt sich nun anhand der rund 250
Blatt Berner Justiz- und Polizeiakten in allen Stationen nachzeichnen.
Das Dossier C. 13.557 enthält vom Juli 1940 bis April
1954 datierte Dokumente der Bundesanwaltschaft. Der Fund umfaßt
weiter das P-Dossier Nr. 43505 für den Zeitraum von 1936
bis 1945 mit Mayers Paßangelegenheiten. Die nun gefundenen
Unterlagen widersprechen vielen autobiographischen Angaben
Hans Mayers. Manche Erzählungen werden aber auch bestätigt,
wenngleich mitunter in einer überraschenden Variante.
Die Schlägerei mag hierfür als Exempel dienen.
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