Heinrich Heine:
Klassik, Aufklärung und Romantik
 
VORWORT
 

Zur Geschichte dieses Buches: Hiermit lege ich eine der ersten neuromantischen literarhistorischen Arbeiten im neuen Gewand und in erweiterter Auflage vor. Die erste Auflage, eine Siegener Dissertation, erschien 1985 als Band 8 in der von Helmut Kreuzer und Karl Riha herausgegebenen Reihe Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. Durch die Aufnahme von zwei Aufsätzen - einem zu Heines Goethe-Bild und einem zu seinem Klassikbild - verdient das Werk nunmehr seinen neuen Titel. Der Zeitschrift für Germanistik und dem Heine-Jahrbuch danke ich für die freundliche Zustimmung zum erneuten Abdruck. Neu hinzugefügt habe ich eine Skizze zur romantischen Geschichte des Begriffs der großen Tendenzen, zu den romantischen Ideen über den Gang der Wissenschaften und über die Geschichte der Literaturgeschichte.

Meine noch im alten Deutschland an der RWTH Aachen begonnene Studie betreute zu Beginn der 80er Jahre zunächst Hans Schwerte. Er fertigte, neben Helmut Schanze, eines der beiden Gutachten für das Graduiertenförderungsstipendium. Prof. Dr. Hans Schwerte war mir von all meinen akademischen Lehrern der liebste. Und ich erinnere mich an den Aachener Rektor als Sozialliberalen und bürgerlichen Demokraten mit großer Dankbarkeit.

Dem Emeritus Helmut Kreuzer verdankte ich den damaligen Titel Heinrich Heine: Sein Bild der Aufklärung und dessen romantische Quellen. Die dort präsentierte Entdeckung der Lessing-Ausgabe Friedrich Schlegels als Quelle für Heines Lessing-Bild in den Schriften über Deutschland war aus meiner Sicht der archimedische Punkt in der Geschichte der Heine-Rezeption nach 1945. Der Aufklärer Heinrich Heine wurde plötzlich zum Mythos der modernen Aufklärer. Seitdem glaube ich nur noch an den Romantiker Heine. Doch der alte Streit zwischen Aufklärung und Romantik ist nicht nur in der Heine-Forschung auch der Kampf der Zukunft.

Was soll ich nun zur Rezeptionsgeschichte, zum Erfolg meines Werkes sagen? Die Warnung der modernen Aufklärer begleitete das Buch von Beginn seines Erscheinens an: Volkmar Hansen wies aus seiner Sicht - freundlich - auf die drohende Gefahr einer Marginalisierung der Aufklärungstradition hin. Joseph A. Kruse gefiel - bereits weniger freundlich - eine detektivische Gebärde nicht. Und Manfred Windfuhr schwieg - unfreundlich. Ich hatte wohl aus mangelnder „Lebensklugheit“ (DHA VII/I, 15) nicht geantwortet, daß das Wetter sehr schön sei. Die Kommerzienräte und Käsebäuerinnen der Heine-Forschung waren ob dieser Unhöflichkeit gekränkt. Und wie der Alte, so die aufgeklärten Jungen. Mit dem zunehmenden Verfall der modernen Aufklärung korreliert die Verluderung der akademischen Sitten.

Erst im letzten Band der DHA Nachträge und Korrekturen (1997) mußte Windfuhr dann aber im Verborgenen sein offiziöses Schweigen brechen. „... nach Ulrich Pongs entnahm Heine die drei Zitate aus Lessings Briefen und Werken nicht den ‚Sämtlichen Schriften’, sondern Friedrich Schlegels ‚Lessings Gedanken und Meinungen’“ (DHA XVI, 108).

Die personifizierte deutsche Aufklärung nach 1945, Jürgen Habermas, hielt auch 1987 immer noch an seinem spezifischen Heine-Bild fest: „Heine war und blieb in der Tat radikaler Aufklärer“. Dies mag bei einem fachfremden Philosophen noch angehen, zumal er die ganz eigenständige Idee formulierte, daß Heine als „Romantiker“ gleichwohl „den Gegensatz zwischen Romantik und Aufklärung liquidierte.“ Dies war natürlich, zwei Jahre nachdem ich einen ähnlichen Gedanken formuliert hatte, immer noch eine echte Überraschung.

Als nicht von den Quellen legitimiert, ja geradezu böswillig jegliche andere Wahrheit negierend, muß ich hingegen solch apodiktische Formulierungen werten, wie sie die modernen Aufklärer Jan-Christoph Hauschild und Michael Werner noch 1997 meinten finden zu müssen, wenn sie Heine zum entschlossenen „Parteigänger der Aufklärung“ umdeklarierten.

Der ganze Lohn der Arbeit nach nun mehr als fünfzehn Jahren schien so vielleicht nur ein lapidarer Satz im 1997 zwischenzeitlich in 2. Auflage erschienenen Heine-Handbuch von Gerhard Höhn zu sein: „In der Forschung hat sich Ulrich Pongs (1985) eingehend mit Heines Aufklärungsbegriff beschäftigt.“

Denn hatte ich damals noch angenommen, daß „die von mir aufgezeigte romantische Aufklärungsrezeption Heines für die Stellung der Rezeption der Romantik und der Aufklärung auch in der DDR-Literaturgeschichtsschreibung auf fruchtbaren Boden fallen“ werde, so kam mein Fingerzeig offensichtlich zu spät. Die DDR-Literaturwissenschaft ging mit ihrem Staat - historisch notwendig - unter.

Doch rechnete ich es mir durchaus an, wenn beispielsweise zu den Erträgen eines Symposions zum Thema „Heinrich Heine und die Romantik“ (1995) zählte, daß der Akzent stärker „auf Heines skeptische[r] Verbundenheit mit der Romantik gelegt“ wurde oder nunmehr „die Beziehungen zwischen Heine und der Romantik als ein wechselseitiges Geben und Nehmen“ gesehen werden sollen.

Die von manchen seither und zukünftig gewünschte neue Harmonie in der Heine-Forschung war eben nicht nur ein schöner Wahn, sondern auch eine träge machende Schimäre. Die Freude über den als Familienfest inszenierten Düsseldorfer Heine-Kongreß 1997 währte nur ein Jubiläumsjahr lang, und die Ruhe wurde mit Millionen erkauft. Dafür erhielt man noch einmal den aufklärerischen Heine, so wie im Jahr 1999 den klassischen Goethe.

Es tröstete indes der reformierte Reformator Ulrich Zwingli die frommen Lehrer, die rascheren Glauben erhofft hatten. Er riet, sich die Arbeitsfreude nicht verderben zu lassen. Denn es gibt schon eine neue Jugend, für die, wenn auch ohne Respekt für den großen Kampf ihrer (neu)romantischen Vorgänger, die ganze Sache irgendwie längst entschieden scheint.

Der calvinistische Gottesdiensthelfer besprach früher, wohl vorbereitet durch den Pastor, doch in eigener Verantwortung, mit den Kindern die biblischen Geschichten in eigenen einfachen Worten. Die in der protestantischen Tradition geübte Praxis des selbständigen Lesens der Bibel, in säkularisierter Form wurde sie später auch auf andere Schriften übertragen, dies alles mag den Jüngeren heute methodisch unmodern erscheinen. Indes ging es dabei nicht, wie auch bei Heinrich Heine, stets um die großen, die heiligen Fragen? Da lohnte noch das genaue Lesen.

Im entsprechenden Band der in Weimar und Paris erschienenen Heine-Säkularausgabe fanden die Ergebnisse meiner Quellenforschungen dann doch noch angemessene Aufnahme – in den Anmerkungen, aber sine ira et studio als Stand der Forschung.

Es war damals wie heute zu danken: für einzelne Anregungen, Rat und Hilfe, für Hinweise und Kritik.

Rheydt, im Dezember 2001

 
INHALT
 
EINLEITUNG
1. Zu den großen Tendenzen
2. Zum Gang der Wissenschaften
3. Zur Geschichte der Literaturgeschichte
4. Zu einigen Aspekten der Sekundärliteratur
5. Zu einigen Quellen der Schriften über Deutschland
I. Heines Begriff der Klassik
1. Aristophanes und Euripides
II. Heines Begriff der Aufklärung
1. Heine und Lessing
2. Heine und Nicolai
III. Heines Begriff der Romantik
1. Heine und August Wilhelm Schlegel
2. Heine und Friedrich Schlegel
3. Heine und Goethe
Ausblick
LITERATURLISTE
Quellen
Sekundärliteratur